Die digitale Transformation ist ein umfangreicher Prozess, der aus mehreren Bausteinen besteht. Abbildung 1 zeigt die wichtigsten Bausteine im Überblick. Sie entstammen dem Berliner Management Modell für die Digitalisierung (BMM®), das am Berlin Career College der Universität der Künste Berlin in langjähriger Forschungs- und Praxisarbeit entwickelt wurde. Bevor wir uns den einzelnen Bausteinen widmen, sollten wir klären, was die Digitalisierung in KMUs gemeint ist.

Abb. 1: Die digitale Transformation in Unternehmen und Organisationen umfasst wichtige Bausteine (©Prof. Georg Adlmaier-Herbst)

Digitalisierung von KMUs – was bedeutet das?

Das Thema Digitalisierung ist in aller Munde. Doch geht das Verständnis weit auseinander: Es reicht von der elektronischen Rechnungserstellung von zuvor postalischer Versendung hin zu bahnbrechenden Neuerungen, die ganze Branchen verändern („disruptive Innovationen“).

Digitalisierung bedeutet Schaffung und kontinuierliche Entwicklung völlig neuer Kundenerlebnisse auf Basis neuer Technologien. Sie geht einher mit der kontinuierlichen Veränderung der Geschäftsmodelle, neuer Produkte und Leistungen sowie neuer Kundenbeziehungen. Digitale Transformation ist somit der gezielte Einsatz von digitalen Technologien, um Wertschöpfungsprozesse neu zu gestalten und enorme Potenziale in Zukunftsmärkten zu erschließen. Sie geht einher mit dem umfangreichen organisationalen Wandel. Digitalisierung umfasst also wesentlich mehr als die Einführung von Social Media!

Die Digitalisierung eröffnet zwei große Potenziale für KMUs:

  1. Optimierung des Tagesgeschäfts: KMUs müssen das eigene Tagesgeschäft optimieren, mit dem sie ihr Geld verdienen. Digitalisierung kann unterstützen, Geschäftsprozesse schneller, preiswerter und besser zu machen. Ein Motto hierbei lautet oft: Was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert wie im Fall des Schriftverkehrs.
  2. Völlig neue Geschäftsmodelle und Leistungen: Sie sollten nach völlig neuen Geschäften Ausschau halten. Neue Technologien ermöglichen, völlig neuartige Kundenerlebnisse zu schaffen, wie Self-Service-Portale, auf denen der Kunde alle Anliegen einfach und schnell elektronisch abwickeln kann.

Die Aufgabe für KMUs besteht darin, zum einen das Tagesgeschäft weiter zu optimieren, aber auch nach neuen strategischen Optionen für das eigene Geschäft zu suchen.

Umfangreicher Wandel

Die Digitalisierung in der Wirtschaft hat schon in den 1990er Jahren rasant in Unternehmen Fahrt aufgenommen. Sie betrifft alle Unternehmen und Branchen. Viele KMUs spüren bereits, dass sie notwendig geworden ist, um im Wettbewerb erfolgreich zu bleiben.

Die Digitalisierung bringt große Veränderungen für KMUs mit sich: Schon heute entstehen grundlegend neue Geschäftsmodelle, bahnbrechende Innovationen, neue Kundenbeziehungen sind möglich. In den Unternehmen entstehen neue Formen der Zusammenarbeit, neue Qualifikationen sind erforderlich. Diese Entwicklung ist tiefgreifend und kontinuierlich. Viele vergleichen die Auswirkungen mit der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Die Frage für jedes KMU lautet, ob es die Potenziale der Digitalisierung für seinen eigenen Geschäftserfolg erkennt und gezielt und langfristig nutzt – oder ob es reagiert und womöglich den Anschluss an den Wettbewerb verliert. Beispiele wie Kodak zeigen, dass selbst ehemals erfolgreiche Unternehmen vom Markt verschwinden, wenn sie die Zeichen der Zeit nicht erkennen – der Erfolg von gestern kann der schlimmste Feind für den Erfolg von morgen sein.

Bausteine der Digitalisierungsstrategie

Digitalisierung hat zum Ziel, neue Technologien für völlig neuartige Kundenerlebnisse zu nutzen und diese gewinnbringend zu vermarkten.

Neue Technologien

Ausgangspunkt der Digitalisierung sind neue Technologie wie Biotechnologie, Nanotechnologie, 3D-Drucken, Virtual Reality, Augmented Reality. Diese Technologien entwickeln sich exponentiell. Was dies bedeutet, kann ein Beispiel verdeutlichen: Auf einem See gibt es erst eine Seerose, dann zwei, dann vier, dann acht. Im vorletzten Schritt ist der See halb voller Seerosen, im letzten Schritt voller Seerosen. Nach diesem Prinzip entwickelt sich die Technologie, nur dass es sich hierbei um einen Prozess ohne Ende handelt. Laut Moor‘schem Gesetz verdoppelt sich die Leistung von Chips, Bandbreite und Computern alle 18 Monate.

Beispiele für neue Technologien:

  • Biotechnologie
  • Neuro- und Nanotechnologie
  • Neue Energien und Nachhaltigkeit
  • IKT & mobile Technologien
  • Sensorik
  • 3-D Printing
  • Künstliche Intelligenz
  • Robotik
  • Drohnen

KMUs sollten prüfen, ob sie solche Technologien nutzen können, um neue Kundenerlebnisse zu entwickeln.

Neue Geschäftsmodelle

Die neuen Technologien werden in Geschäftsmodellen in ein wirtschaftlich ertragreiches Modell gebracht, mit dem das KMU seine wirtschaftliche Basis sichert. Zu den neuen Geschäftsmodellen gehören Internetplattformen für Banken, Taxis, Handel, Bildung und Reisen wie booking.com, airbnb.com oder Holiday Check. Auf Online-Reiseportalen treffen sich Nachfrager und Anbieter wie Taxifahrer, Hersteller, Verlage und Vermieter. Plattformen produzieren keine Produkte, sondern agieren als Vermittler. Plattformen unterstützen den Urlauber bei der schnellen und preisgünstigen Suche nach seiner Traumreise.

Plattformen sind auch im B2B-Business immer wichtiger: Immer mehr Großunternehmen, etwa im Bereich Automobilbau, Luft- und Raumfahrt oder Maschinenbau, gehen dazu über, ihre Zulieferer digital an sich zu binden, indem sie Lieferantenportale eröffnen. Die SupplyOn AG, eine gemeinsame Gründung von Bosch, Continental, Schaeffler und ZF Friedrichshafen, vernetzt die Geschäftsprozesse von mehr als 12.000 kleinen und mittleren Zulieferern weltweit.

Schon heute liegen viele Dienstleistungen und andere immaterielle Güter digital vor wie zum Beispiel die Reisebuchung und die Bestellung eines Taxis. Diese Leistungen sind an jedem Ort und jederzeit abrufbar. Bei Autoversicherungen lassen sich Daten digitalisieren und auswerten: Sie geben dann Auskunft über das Fahrverhalten des Kunden, an der sich die Versicherungsprämie ausrichtet. Krankenkassen überlegen derzeit, ob sie die Beiträge für Versicherte senken, die ihre durch mobile Endgeräte (Smartwatches, Wearables, siehe unten) gewonnenen Fitnessdaten preisgeben.

Neue Produkte und Leistungen

Beispiel Digitaler Kundenservice: Wichtig für den Kunden sind digitale Services zur Beratung rund um den Produktkauf: Der Kunde möchte sich selbständig informieren können; wenn er nicht weiter weiß, sollte jederzeit ein kompetenter Ansprechpartner verfügbar sein. Derzeit erfolgt dies über oft überforderte Call-Center mit langen Warteschleifen und den Social-Media-Angeboten, auf die Konsumenten dann ausweichen. Für die Beratung werden künftig Live Chat, Mobile Apps und Self-Service-Kundenportale wichtiger.

Beispiel Self-Service-Portal: Ein Kunde möchte seine Arztrechnung bei seiner Krankenkasse einreichen. Er öffnet die App und startet den Chat. Der Agent empfiehlt ihm, die Rechnung zu fotografieren und direkt über die App an ihn zu schicken. Ein anderes Beispiel: Für den Abschluss einer Auslands-Krankenversicherung hat sich der Konsument per Live Chat über die Konditionen informiert und Angebote eingeholt. Er öffnet den Vertrag, unterschreibt ihn auf seinem Smartphone mit digitaler Unterschrift und schickt ihn über den Chat an den Berater zurück. Ergebnis: Der Kunde hat in kürzester Zeit sein Anliegen erledigt und Geld für Porto, Druck und Papier gespart.

Bots (Chatbots) sind textbasierte Dialogsystem, die Apps künftig überflüssig machen. Chatbots sind eine Technologie, die den Kunden in allen Servicefragen schneller und effizienter unterstützen kann, zum Beispiel bei der Flug- oder Hotelbuchungen und Einkäufen. Statt zum Telefonhörer zu greifen oder die Nummer eines Call-Centers zu wählen, wenden sich immer mehr hilfesuchende Kunden einfach per Chat auf der Unternehmenswebsite oder per Messenger an Unternehmen. Um eine Theaterkarte zu kaufen können Facebook-User direkt die Anbieter anschreiben, Tickets kaufen, zahlen und das elektronische Ticket mit QR-Code in ihrem Chatfenster aufrufen. Alle erforderlichen Daten sind bei Facebook hinterlegt.

Mögliche Einsatzgebiete von Chatbots sind beispielsweise:

  • Einkaufshilfen für Lebensmittel: Wie koche in Gericht A und wo kann ich die Zutaten bestellen?
  • Kundenservice: Ich möchte meine Bankverbindungen ändern.
  • Nachrichten: Welche Nachrichten sind für mich wichtig?
  • Zeitplanung: Wie kann ich ein Geschäftsessen organisieren, Einladungen verschicken und koordinieren?

Das alles ist keine Zukunftsmusik mehr. Die Technik ist bereits vorhanden.

Neue Kundenbeziehungen

Für KMUs waren schon immer die Kundenbeziehungen entscheidend für den Geschäftserfolg. Diese Beziehungen haben sich in Zeiten digitaler Medien wie Vergleichsportale, Suchmaschinen und Social Media gewandelt: Kunden erwarten heute das schnelle und individuelle Eingehen auf Wünsche und Fragen, Transparenz über Produkte und Preise und die Beteiligung an neuen Produkten und der Kommunikation.

Das Internet dient schon längst nicht mehr nur der Information, sondern auch der Kommunikation mit anderen Kunden und auch dem Unternehmen. Für KMUs hat dies zur Folge, dass Austausch an Stelle der einseitigen Information des Unternehmens tritt. Selbst 1:1-Kommunikation ist möglich – die KMUs sind hier gegenüber den Großkonzernen im Vorteil wie sie schneller, flexibler und persönlicher agieren können. Digitalisierung ermöglicht also KMUs, Kontakt zu Kunden aufzunehmen und mit ihnen direkt zu sprechen. Dieses persönliche Gespräch ist für das Entstehen von Vertrauen essenziell und lädt das Unternehmen emotional auf.

Beispiel Beratung: Zufriedene Kunden sind eine Voraussetzung für langfristige Kundenbeziehungen. Probleme, die ein Kunde hat, müssen aktiv gesucht, gelöst und Hindernisse beseitigt werden. Ein eindeutiger Mehrwert digitaler Services kann die Beratung vor, während und nach dem Kauf sein. Beratung unterstreicht zudem das hohe Preisniveau der Marke. Social Media spielen hierbei eine große Rolle: Durch die ständige Verfügbarkeit nutzen Kunden diese oft häufiger als das Call-Center mit doch oft stark eingeschränkter Verfügbarkeit.

Beratung ist eine der häufigsten Wünsche und Erwartungen von Online-Shoppern, besonders in Branchen wie Tourismus, Finanzdienstleistungen und Versicherungen, Computern, Autos und Wellness.

Neue Kundenerlebnisse

Der Kern der Digitalisierungsstrategie im KMU ist das Schaffen völlig neuartiger Kundenerlebnisse, für die dieser bereit ist, Geld zu zahlen und damit die Unternehmensziele des KMU zu unterstützen. Dieser Kern gerät persönlichen Erfahrungen in zahlreichen Unternehmen zufolge oft aus dem Blickfeld.
Die rasant fortschreitende Digitalisierung ermöglicht den KMUs neue Kundenerlebnisse durch digitale Produkte und Leistungen: Schöner, leichter, sicherer, anregender, stärker – solche Erlebnisse sind es, die der Kunde will und für die er Geld ausgibt. Der Kunde will maßgeschneiderte, individuelle Produkte und Services, die Zeit sparen, sinnvolle Zusatzfunktionen haben oder durch die er Komfort gewinnt.
Doch damit nicht genug: Um die Digitalisierungsstrategie erfolgreich umsetzen zu können, müssen sich KMUs intern wandeln.

Interne Transformation: Müssen, Wollen, Können

Die Digitalisierungsstrategie kann von den KMUs nicht ohne Veränderungen innerhalb des Unternehmens gelebt werden. Dies kann als Interne Transformation, Wandel oder Change bezeichnet werden. Es fehlt meist die Bereitschaft für Veränderungen und die Fähigkeit. Aus diesem Grund wird die Entwicklung der Digitalisierung von KMUs begleitet vom internen Wandel , der das Ziel hat, die Wanderbereitschaft und Wandlungsfähigkeit herzustellen.

Wandelbedarf ermitteln

Die zentrale Frage lautet hier, wie Führungskräfte und die Belegschaft motiviert werden können, die Digitalisierungsstrategie umzusetzen und dauerhaft zu leben. Dies ist eine der großen Herausforderungen der digitalen Transformation.

Zu den Kernfragen gehören:

  • Übergreifende Bereitschaften: Welche Bereitschaft soll im gesamten Unternehmen geschaffen werden?
  • Spezielle Bereitschaften: Welche speziellen Bereitschaften sollen in Abteilungen des Unternehmens geschaffen werden: Fehlertoleranz ist sicher für Forschung und Entwicklung wichtiger, aber zunächst nicht für die IT und die Produktion.

Bereitschaften können sich auch auf Mitarbeitergruppen beziehen:

  • Führungskräfte: In vielen aktuellen Beiträgen zum Digital Leadership wird von Führungskräften die Bereitschaft erwartet, Kontrolle über die Mitarbeitenden zumindest teilweise abzugeben. Eine andere Anforderung ist das Steuern interdisziplinärer Teams ohne Führungsverantwortung.
  • Mitarbeitende: Welche Bereitschaften sollen bei den Mitarbeitenden erzeugt werden, wobei die Führungskräfte unterstützen?

In allen Unternehmen ergibt sich als Ergebnis ein sehr differenzierter Bedarf.

Wandelbereitschaft erzeugen

Wie lässt sich dieser Bedarf an Wandelbereitschaft in einem Programm- und Projektmanagement abbilden und zielorientiert, systematisch und langfristig erzeugen?

Wandlungsfähigkeit herstellen

Die Wandlungsfähigkeit schafft die Voraussetzungen dafür, dass die Mitarbeitenden die Anforderungen aus der Digitalisierungsstrategie umsetzen können. Die Wandlungsfähigkeit besteht aus den drei Komponenten:

  • Organisation: Welche neuen oder veränderte Rollen und Verantwortlichkeiten sind für die Digitalisierung erforderlich, welche Prozesse, Strukturen, Kultur, IT und welche Weiterbildung?
  • Kommunikation: Wie kommunizieren Führungskräfte und Mitarbeitende, um den Wandel bestmöglich umzusetzen?
  • Controlling: Wann und wie lässt sich der Wandel steuern und kontrollieren, damit wichtige Meilensteine erreicht und die Ziele umgesetzt werden?

Wichtig ist, dass zuerst die Wandlungsbereitschaft aufgebaut oder zumindest angestoßen sein muss, denn sonst sitzen viele Mitarbeitende in Weiterbildungsveranstaltungen, obwohl sie dies gar nicht wollen; neue Prozesse sind zwar geschaffen, aber sie werden nicht gelebt, weil dies die Mitarbeitenden boykottieren.

Fazit

Das Programm zur Internen Transformation begleitet die Digitalisierungsstrategie des KMU, indem es die für die dauerhaft Umsetzung erforderlichen Voraussetzungen schafft:

  • Müssen: Der Wandelbedarf ermittelt das „Müssen“
  • Wollen: Die Wandelbereitschaft erzeugt das „Wollen“
  • Können: Die Wandelfähigkeit stellt das „Können“ her

Der Autor

Prof. Dr. D. Georg Adlmaier-Herbst ist Honorarprofessor und Scientific Director der Forschungsstelle „Berliner Management Modell für die Digitalisierung (BMM®)“ am Berlin Career College der Universität der Künste Berlin. Er ist Gastprofessor für „eCommerce in China“ an der Jiao-Tong-Universität in Shanghai (China), Hauptdozent im Executive MBA HSG für Unternehmenstransformation im Digitalen Zeitalter an der Universität St. Gallen (Schweiz), Dozent „Digital Leadership“, CAS Digital Innovation & Business Transformation, University of St. Gallen (Schweiz), Dozent im „CAS Strategic Communication“ an der Hochschule Luzern (Schweiz), Dozent für „Digital Brand Management“ an der University of the Arts London und Gastprofessor an der Lettischen Kulturakademie in Riga (Lettland). Herbst ist außerdem weltweit als Berater für Unternehmen, Organisationen und Personen tätig. 2011 wurde er von der Zeitschrift „Unikum Beruf“ zum „Professor des Jahres“ gewählt. Er ist Mitglied im Rat der Internetweisen. Adlmaier-Herbst hat 20 Bücher über Marketing und Unternehmenskommunikation geschrieben.